In sieben spannenden Kapiteln handelt die Informatikprofessorin Debora Weber-Wulff zahlreiche unterschiedliche Anschauungen, Definitionen und Aufdeckungsmethoden rund um Plagiate gekonnt und durchaus unterhaltsam ab. Auch kurze Einblicke auf andere Phänomene wissenschaftlicher Unredlichkeiten werden besprochen. Selbst seit Jahren auf dem Gebiet der Aufdeckung tätig (ihre Plagiatsoftware-Vergleiche können Sie auf Weber-Wulffs Website nachlesen) lebt insbesondere dieser Abschnitt von ihren unzähligen eigenen Erfahrungen und Forschungstätigkeiten.
Interessierte am deutschen Phänomen der zumeist anonymen „Plagiatsjäger“ in Foren wie „VroniPlag Wiki“ und „GuttenWiki“ kommen dank Weber-Wulffs langjähriger Mitarbeit darin ebenfalls voll auf ihre Kosten: Nebst einigen mehr oder weniger bekannten Fällen von Plagiatsuntersuchungen der letzten Jahre, liefert Weber-Wulff einen ausführlichen aber keinesfalls langatmigen Einblick in die Entstehung und Hintergründe sowie – wie mir sehr positiv aufgefallen ist! – auch einiges an Selbstkritik zu besagten Foren und deren Arbeit.
Auch für bereits im Thema belesene Fachkräfte wie mich finden sich nicht zuletzt dank der sehr ausführlich aufbereiteten Quellenangaben am Ende jedes Kapitels reichlich Neuentdeckungen und so mancher bislang unbekannte historische Fall, dem es nachzugehen gilt. Ich fürchte bereits Schlimmes um mein Buchbudget und meine Kreditkarte … zu Hilfe!!
Weitere Informationen zum Buch finden Sie beim Springer-Verlag, dem ich herzlich für die Überlassung eines Rezensions-e-books danken möchte!
(Cover: Springer Verlag)
Hier die Rezension von “False Feathers” als pdf downloaden!
Let’s get it started!
Kürzlich hatte ich das große Vergnügen eines von leider immer noch sehr wenigen Werken über mein Fachgebiet rezensieren zu dürfen. Dieses sehr angenehm geschriebene – und so insbesondere auch für Laien leicht lesbare – Buch „False Feathers“ ergibt meiner Meinung nach ein sehr gutes allgemein einführendes Standardwerk für dieses doch stellenweise stark unübersichtliche Fachgebiet mit seinen unzähligen Graubereichen.
Gleich zu Beginn macht Weber-Wulff dankenswerterweise auf einige essentielle Umstände aufmerksam, die ich selbst auch nicht müde werde zu betonen: Nein, die diversen Plagiatssoftware-Produkte sind keine Wunderwuzzi, man kann mit ihnen KEINEN Plagiarismus feststellen, sondern nur Textähnlichkeiten. Auch ist es utopisch zu glauben, dass man damit alle Ähnlichkeiten feststellen kann, noch besteht grundsätzlich die Möglichkeit einem Text „Plagiatsfreiheit“ zu attestieren.
Ein weiterer Umstand wird sofort zu Beginn ebenfalls aufgebracht, dass zwar Plagiate und deren Aufdeckung seit den diversen Skandalen zwar in aller Munde sind, sich jedoch an Hochschulen kaum etwas zu deren Vermeidung getan hat. Das kann ich zu großen Teilen bestätigen! Plagiate in der Wissenschaft sind ein systemisches Problem und müssen daher in und am System bearbeitet werden. Dieses System ist jedoch sehr alt und behäbig, Änderungen passieren langsam oder nur unter sehr großem Druck.
Weber-Wulffs Buch „False Feathers“ breitet sich in den nachfolgenden Kapiteln hauptsächlich um drei entscheidende Fragen:
- Was ist Plagiarismus eigentlich genau?
- Wie findet man Plagiate?
- Was tun wir dann?
Wobei die Autorin richtigerweise auch nicht müde wird zu betonen, dass es neben Plagiaten mit den diversen anderen akademischen Unredlichkeiten noch viele andere wichtige Baustellen in der Wissenschaft und Lehre gibt. Der Fokus läge klar bei den Hochschulen selbst, diese müssten sich vor allem um die Prävention kümmern, so Weber-Wulff. Tatsächlich richtet sich meine gesamte berufliche Tätigkeit auf die Unterstützung der Unis in diesem essentiellen Punkt, weshalb ich hier natürlich absolut felsenfest dahinterstehe!
Plagiate, ein Internetphänomen? Mitnichten!
In den beiden anfänglichen Kapiteln bespricht Weber-Wulff anschaulich unterschiedliche Definitionen von Plagiaten. Gerne fälschlicherweise als Phänomen des Internet-Zeitalters beschrieben (Studierende finden heute alle Quellen sehr leicht im Internet, das verführt noch mehr als jemals zuvor zum Abschreiben), ist Plagiarismus besonders eines – kaum bzw. schlecht definiert (siehe auch meinen Blogbetrag dazu)! Abgesehen davon werden gerne andere Phänomene, die eher das Urheber- und/oder Verwertungsrechte betreffen, auch in einen Topf mit Plagiarismus geworfen.
In Kapitel 2.2 stellt Weber-Wulff daher in einem ausführlichen Typologie-Teil verschiedene Formen von Plagiarismus dar, wobei „Copy&Paste“ der einfachste (und am einfachsten nachzuweisende Typus ist). Schwieriger wird es da schon bei Übersetzungsplagiaten! Ein interessanter Typus ist auch das „Bauernopfer“ („pawn sacrifice“), wobei zwar irgendwo und irgendwie ein Zitat oder eine Literaturangabe gesetzt wurde, daraus allerdings nicht klar wird, wie viel nun tatsächlich aus der Quelle stammt (dazu gibt es in Abb. 2.1 auch ein Beispiel aus der zu Guttenberg-Arbeit). Ein weiterer spannender und sehr umstrittener Typus von Plagiarismus wird in Unterkapitel 2.2.9. beschrieben: der Sonderfall des Selbstplagiates, das natürlich häufig, wie Weber-Wulff richtig beschreibt, viel eher ein akademisch-moralisches Problem ist, denn eine Überschreitung eines Copyrights.
In Kapitel 2.3 werden andere academic misconducts besprochen: Inkludiert sind hier unter anderem Ghostwriting (siehe dazu auch meinen Blogbeitrag), Ehrenautorenschaften und Datenfälschung (ebenfalls bereits hier im Blog angesprochen worden). Leider werden bestehende Grenzbereiche und Ausnahmen nicht weiter ausgelotet (wo es z.B. schon in die arbeitsrechtlichen Bereiche reingeht, wie bei Sabotage von Experimenten, Betreuungsmängel, …).
Zum Abschluss der gelungenen einleitenden Kapitel 1 und 2 stehen vor der Frage warum Plagiarismus eigentlich schädlich ist (Kapitel 2.7) noch zwei weitere spannende Inputs: In etlichen Studien konnte bislang aufgezeigt werden, dass die Angst vor Bestrafung fast überhaupt nicht abschreckend auf Studierende wirkt. Andererseits nähmen Studierende jedoch gebotene Möglichkeiten zu betrügen (z. B. immer die selben Aufgabenstellungen für Seminararbeiten) häufig auch wahr. Es liegt also tatsächlich auch und besonders an der Lehre, so wenig als möglich Möglichkeiten zum Plagiieren zu bieten, weshalb besonders Lehrpersonal mehr geschult werden müsste dies zu Vermeiden.
„Good old Germany“ hat ein Plagiatsproblem
Der Kern des gesamten Buches bildet Kapitel 3, den Ausführungen Weber-Wulffs zu Plagiarismus in Deutschland. Darin kann man sich wirklich ausführlich über sehr berühmte und durchaus medienwirksame (zu Guttenberg, Schavan) oder auch weniger geläufige (Haas, Nix, Ströker) deutsche Plagiatsfälle der letzten Jahre und Jahrzehnte, sowie die nicht minder spannende Entstehungsgeschichte zur crowd-basierten Aufdecker-Plattform „VroniPlag Wiki“ informieren.
Es wird angesichts der damaligen Ausmaße des zu Guttenberg-Skandals ein doch verhältnismäßig knackiger Abriss geboten, worin die Ziele und ein wenig Selbstkritik zur Crowd-Bearbeitung ebenfalls geboten wird (z. B. dass das oft kritisierte anonym bleiben der BearbeiterInnen in der Crowd besonders intern vor Bevormundung schützen soll, ist ein wenig bekannter Aspekt).
Immer noch weitgehend ungeklärt ist auch das Ausmaß der Verantwortung von Betreuenden (zu Guttenbergs Dissertation hatte von seinen Betreuenden ursprünglich höchste Noten erhalten). Wie man an der Dokumentation dieser Wikis erkennen kann, kam es bislang häufig – und wie ich betonen möchte an fast allen Hochschulen! – zu sehr ausgeprägten Plagiatsfällen (nachgewiesene 75% übernommenen Texte in einer Arbeit sind durchaus nicht selten). Doch passieren tut – nicht nur wie Weber-Wulff für Deutschland bemängelt – in vielen Ländern nichts. Selbst mich als langjährige Bearbeiterin auf diesem Gebiet erstaunen wie in diesem Buch dokumentierte Reaktionen von (in diesem Fall deutscher) Hochschulen bei Bekanntwerden von Plagiatsfällen doch immer wieder (Kapitel 3.3).
Wie Weber-Wulff des Weiteren schreibt (Kapitel 3.3, S. 51) scheinen viele Unis zu warten, ob sich das Problem nicht von selbst legt. Leider habe ich solche und ähnliche Einstellungen selbst auch schon live erlebt („solange es keinen Plagiatskandal an unserer Hochschule gibt, muss man auch nichts präventiv unternehmen, sonst weckt man gar noch ein paar Oberg’scheite auf …“). Man vergibt sich hier meiner Meinung nach wirklich tolle Möglichkeiten einfach und preiswert eine wirklich nachhaltige Wissenschaftskultur an seiner Hochschule aufzubauen. Nicht nur ich hoffe auf ein rasches Umdenken!
Auch wenn ich sie schon auf einer Konferenz auch dazu sprechen gehört habe – mir ist die Fokussierung auf „deutsche Dissertationen“ immer noch nicht ganz klar. Ja, diese Art von Dissertations-System ist veraltet (man schreibt eine Monografie, am besten in der Muttersprache und veröffentlichen ist nicht Pflicht). Leider weiß ich das selbst nur zu gut, denn auch ich musste so abschließen und bin nicht wahnsinnig glücklich darüber gewesen. Aber es ist weder rein deutsch (wie gesagt, auch in Österreich ist/war es großteils so üblich), noch bleibt es bei dem System, da ein Großteil aller Hochschulen und Studiengänge ohnehin auf das Bologna-System umsteigen (müssen).
(Foto: “Through the looking glass” von Tim @ Flickr)
Aufdecken von Plagiaten … und dann?
Allein zu Kapitel 4 über Plagiatsaufdeckung gäbe es ganze Bücher zu schreiben! Dieser ebenfalls sehr ausführliche Abschnitt atmet die gesamte Erfahrung und Kompetenz der Informatikprofessorin Weber-Wulff, die ja neben ihrer Beteiligung an den Crowd-Plattformen hts. auch durch ihre regelmäßigen Softwarestests von Plagiatsprogrammen (nachzusehen auch online auf Weber-Wulffs Website) bekannt wurde.
Wer sich als BetreuendeR noch nie mit dieser Art von Software und ihren Hintergründen auseinander gesetzt hat, findet hier sehr ausführlich alles was sie/er dazu wissen muss. Und mehr! Weber-Wulff erklärt in diesem Kapitel systematisch worauf es bei Programmen auskommt (Datenbanken, Zugriffsmöglichkeiten) aber auch Alternativen (einfache Google-Suche usw.) werden vorgestellt. Die erwähnten „Google Books“ und „Google Scholar“ als Kontrollwerkzeuge zu verwenden ist eine gute Idee, zumal man bedenken muss, dass sie Studierenden ja auch als erste Quellen – noch lange vor Wälzern aus den Handapparaten der Bibliotheken – zur Verfügung stehen!
Ja, die Spezial-Programme sind gut (nicht toll, wie Weber-Wulff und ich selbst auch nicht müde werden zu betonen), aber man muss sich immer klar sein wozu man sie überhaupt verwenden will. Und für ein paar Stichproben reicht Google oder eine ähnliche Suchmaschine völlig aus. Das Stichwort lautet aufmerksam lesen (Unterkapitel 4.2.1), dann fallen einem eh meist schon einige Ungereimtheiten auf. Auch ich möchte hier wieder einmal ausdrücklich betonen, diese Software der LETZTE SCHRITT in der Prävention ist und dass im „normalen“ Gebrauch es nicht möglich ist ALLES an Plagiarismus zu finden … und es auch nicht nötig ist, da der Hintergrund warum man Arbeiten vor Approbation überprüft anders ist als bei Crowd-Plattformen.
In Kapitel 5 gibt Weber-Wulff zahlreiche Tipps für die Lehre zur Vermeidung: die Plagiatsvermeidung beginnt schon in Vorlesungen, wo Studis lernen sollen Gehörtes in eigenen Aufzeichnungen = mit eigenen Worten mitzuschreiben (daher sind Skripten, Kopien und Powerpoint-Präsentationen didaktisch auch nicht so günstig). Leider, aber durchaus nachvollziehbar, wollen Lehrende jedoch ihren Stoff lehren und nicht wie man Plagiate zu vermeiden hat, der Wunsch nach einer einfacher Software-Lösung ist daher groß. Für mich ist das auch sehr verständlich, und ja, Weber-Wulff hat völlig recht, es ist leider ein großes soziales Problem. Es basiert ganz grundsätzlich auf der Wissenschaftskultur an einer Hochschule!
Das Unterkapitel 5.1.7 (proper citation) ist meiner Meinung nach unnötig ausführlich, denn dazu gibt es mehr als genug bessere Bücher. Außerdem ist das „Wie“ des Zitierens ja wie in Unterkapitel 5.1.6 auch schon anklingt, meist gar nicht das Problem beim fehlenden bzw. falsch gesetzten Zitat. Stattdessen wäre es sehr viel interessanter gewesen statt nur einen Absatzes von „reasons for referencing“ diesen Aspekt viel ausführlicher darzustellen.
In den Unterkapiteln 5.1.10 (Swearing an oath?) und 5.1.11. (A sense of honor) beschreibt Weber-Wulff einige in den USA und UK weiter verbreitete Möglichkeiten die akademische Integrität der Studierenden (und WissenschafterInnen!) zu stärken, die allerdings in Europa kaum verbreitet sind. Ich gebe ihr recht, dass es eine Unterschrift, man habe eine Arbeit nur mit erlaubten Mitteln erstellt, sehr zahnlos ist. Dass die „honor pledge“ (also ein „Ehrlichkeitsgelübde“) wie in USA mit einer richtigen Zeremonie gut zu funktionieren scheint, kann eben aber auch nur funktionieren, wenn auch die Institute und ihre WissenschafterInnen als gute Beispiele vorangehen („faculty also needs to live the honor code“).
Werfen wir einen Blick in die Zukunft
In den finalen beiden Kapiteln geht es zunächst im konkrete Bestimmungen und Abläufe bei Plagiatsverdacht an Universitäten in unterschiedlichen europäischen Ländern. Diese sehr diversen Prozesse richten sich dabei generell nach Schwere des Vergehens und vor allem nach der Absicht!
Vorgestellt werden ganz grundlegende Systemdetails und einige konkrete Beispiele aus den USA, UK, Kanada, skandinavischen Ländern, Österreich, usw. Leider sind hier NICHT auch Nigeria, Pakistan, China und Indien mit aufgenommen und beschrieben worden. Ein Vergleich hätte sich sehr gelohnt, denn meinem Wissen nach sind besonders Nigeria und Pakistan in den letzten Jahren sehr intensiv mit Plagiatsprävention beschäftigt.
Im abschließenden Ausblick betont Weber-Wulff nochmals, dass es in Deutschland und weiten anderen Bereichen Europas keine klare Plagiatsdefinition gibt. Es ist ein durchaus altes Phänomen und die Spezial-Software kann bei der Bekämpfung von Plagiaten nur die Ausnahme sein, Unis müssten (schnell) mehr in VERMEIDUNG setzen. Sehr gut gefallen haben mir hier besonders die Hinweise darauf, was Unis gleich umsetzen könn(t)en (siehe S. 184) – zuvorderst steht dabei TRANSPARENT über diese Themen zu reden. Zum Glück gibt es schön langsam aber sicher viel mehr Schreibförderung (siehe das Schreibzentrum an der FH WKW Wien, für die ich u.a. ab dem Wintersemester 2014/15 unterrichtend tätig sein werde). Immerhin, ein Schritt in die richtige Richtung!
Weber-Wulffs „False Feathers“ ist ein sehr empfehlenswertes und lehrreiches Buch mit berechtigten Aussichten ein gutes Basiswerk zu Plagiaten im europäischen Raum zu werden!
Hier die Rezension von “False Feathers” als pdf downloaden!
Rezension von Natascha Miljković, 22. September 2014
© aller Texte: Dr. in Natascha Miljković, Agentur Zitier-Weise, 2012-2014.
© Abbildungen: wie angegeben.
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