Buchrezension von „Selbstkompetenzen“ von Sebastian Lerch (Springer Verlag)

2016 ist eindeutig ein Buchjahr für mich, eine Rezension jagt die andere im Blog … und Ende des Jahres gibt es dank der vielen Leserei auch einen Buchkorb zur Verlosung an einige glückliche GewinnerInnen. Aber dazu bald mehr! Diese Rezension dreht sich um einen Bereich, der mich schon seit vielen Jahren beruflich wie auch persönlich begleitet: Kompetenzen. Wie die Überschrift schon anzeigt handelt es sich hier um Selbstkompetenzen im Speziellen.

 

In sechs Großkapiteln behandelt Sebastian Lerch in seinem Werk Selbstkompetenzen aus der erziehungswissenschaftlichen Sicht. Den Beginn machen kritische Beobachtungen Lerchs im einleitenden Kapitel, wie sehr Kompetenzen als ein neues „must have“ in unserer stark im Wandel begriffenen Arbeitswelt teils zu einem neuen Selbstoptimierungswahn führen (können): Menschen müssen an sich arbeiten, denn sie sind unvollkommen, nie genug, sollen aber mit der Zeit gehen und leistungsfähig bleiben. Zudem müssen sie ja hauptsächlich für die Arbeitswelt funktionieren.

Keine schöne neue Welt! Verrrückter noch – als „Containerbegriff“ (Sammelsurium), später auch als „Megawort“ bezeichnet, ist kaum jemandem umfassend bekannt, was unter Kompetenzen eigentlich alles gemeint ist. Lernen und sich weiterbilden wird so zu einem diffusen Zwang. Lerch stellt zahlreiche Ansichten und diverse Heransgehensweisen von Forschungsprojekten vor, die mir so noch nicht in dieser Fülle bekannt waren. Sichtbar wird dabei sofort ein Mangel an Theorie hinter dem häufig bedienten Begriff Selbstkompetenz, mit dem hier sogleich aufgeräumt werden soll.

In Kapitel 2 stellt der Autor Selbstkompetenzen aus drei Blickwinkeln vor: bezüglich ihrer Bedeutung für Gesellschaft, die kompetente Mitglieder sucht und mehr Menschen dazu verhelfen will, in der Wirtschaft, die funktionierende Arbeitskräfte benötigt, und auch für die Politik, der die „Untertanen“ schliesslich auch „fähig“ genug bleiben sollen mitzugestalten.

Eines der stark umstrittenen Schlagworte ist hierbei „LLL“ – Lebenslanges Lernen, das biologisch betrachtet stimmt, das wie Lerch es ausdrückt „ein gesellschaftssteuerndes Programm“ wurde (Lerch, 2016, S. 15). Der Spruch „alte Hunde lernen nicht mehr“ stimmt schon lange nicht mehr, etliche Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen bis zum Tode lernen können – wenn sie wollen und keine schwerwiegend lernbehindernde Krankheiten vorliegen. Ist mit LLL allerdings ein Zwang verbunden (um einen Job zu finden, weil sich das halt gehört, um besser zu werden oder um niemanden zur Last zu fallen, nicht schlechter als andere zu sein und zur Last zu fallen, usw.) meine ich, sieht es gleich ganz anders aus! Als Optimierung am Markt durch sozialen Druck drückt Lerch dies aus (Lerch, 2016, S. 15).

 

Image result for Selbstkompetenzen Eine erziehungswissenschaftliche Grundlegung Autoren: Lerch, Sebastian

(Abb.: Buchcover zu “Selbstkompetenzen” von Sebastian Lerch; (c) Springer-Verlag)

Ich bin so, wie Du mich haben möchtest.“ (Erich Fromm)

Die Humanressource (sic!) Mensch soll lange nicht mehr für sich Selbst(!)kompetenzen aneignen, zu viele Stakeholder reissen sich um besser gebildete Leute. Eine schier groteske Entwicklung, da sich eine Vielzahl an Arbeitskräften an ihren Arbeitsplätzen absolut nicht selbstbestimmt und kompetent fühlen, Motivation und damit auch Leistung sinkt, da man als „kleines Rädchen“ den Weltmärkten und ihren Einsparungen jederzeit hilflos ausgeliefert sein könnte – egal was man alles kann und weiß.

Gleichzeitig beschreibt Lerch in Unterkapitel 2.2.2. die individuelle Ebene der Chose – der Einzelne wird immer mehr selbst verantwortlich gemacht, um dem Markt zu dienen, Neuerungen zügig mitzumachen, immer vorausschauend planen für alle Eventualitäten und Privatleben und das Arbeitsleben immer und immer wieder überarbeiten und aneinander anpassen. Die Ansprüche an ArbeitnehmerInnen steigen stark!

Kapitel 3 ist ganz diversen Rekonstruktionen und Kritiken gewidmet. Besonders wichtig ist dem Autor gleich vorweg die zwei entscheidenen Sichtweisen auf Selbstkompetenzen zu differenzieren: als holistisches (ganzheitliches) System oder kumulativ (je mehr, umso besser). Dieser Abschnitt besticht ganz besonders durch die genaue Aufarbeitung unterschiedlichster Theorien, Blickwinkel und Bedürfnisse: philosophisch, psychologisch, berufspädagogisch, erwachsenenbildnerisch, usw. Ein spannender Abschnitt, der auch Laien viele neue Ansätze aufzeigt!

 

Was man kann, das kann man … oder?

Im anschliessenden Kapitel 4 wird eine Zusammenfassung einer empirische Analyse durchgeführt und die gewählten Methoden besprochen (die man als Laie dann durchaus auch mal überspringen kann), bevor die Top 10 Selbstkompetenzen (für die Bereiche Medizin, Ingenieurswissenschaften und Pädagogik, wo sie, wie zuvor erläutert wird, genauer definiert werden können), ausführlicher dargestellt werden.

Dazu zählen für den Autor:

  • Einsatzbereitschaft,
  • Organisationsfähigkeit,
  • Verantwortungsbereitschaft,
  • Selbstständigkeit,
  • Gestaltungswille,
  • Flexibilität,
  • Lernbereitschaft,
  • (Eigen-)Initiative,
  • Leistungsbereitschaft und
  • analytisches Denken.

Wie Sie sehen, sind viele Worte anstatt dem bislang häufig beinahe obligatorischen -fähigkeit oder -bewusstsein mit -bereitschaft ergänzt worden (also z. B. statt Verantwortungsbewusstsein hier Verantwortungsbereitschaft). Für mich ein kleiner aber sehr feiner Unterschied!

 

Schöne neue Welt“

Basierend auf den empirischen Erhebungen und Theorien dazu, verortet der Autor drei sehr relevante Aspekte: die Bedeutung von Vertrauen (Unterkapitel 4.3.1.), von Netzen (4.3.2.) und die Vereinnahmung der eigenen Person (4.3.3.), und entwickelt daraus eine neue These zu Selbstkompetenzen (4.3.4.): „Die Auflösung des Selbst wird betrieblich in Kauf genommen.“ (Lerch 2016, S. 195). Über die oft sogar in Paradoxien ausgewachsenen Resultate davon kann man schon nicht mehr lachen, zum Glück geht es da schon über in Kapitel 5, wo über das Lehren und Lernen von Selbstkompetenzen gesprochen wird. Vernünftig und sehr lehrreich!

Zu guter Letzt wird im Kapitel 6 auf Möglichkeiten unternehmerischer Taktiken im Bezug auf Selbstkompetenzen von MitarbeiterInnen eingegangen. Knackpunkte sind hauptsächlich die Stellenausschreibungen und Bewerbungsgespräche, in denen die erwünschten Anforderungen mit präsentierten Erfahrungen abgeglichen werden müss(t)en. Dann kommt das Thema (Selbst-)Kompetenzen natürlich wieder im Bereich des Qualitätsmanagements und der betrieblichen Weiterbildung auf. Besonders gut gefällt mir, dass, wenn man es richtig macht, Verantwortung, Vertrauen und Autonomie hier zum Ziel werden soll(t)en, das Unternehmen für jede Einzelne und jeden Einzelnen dann auch zu einem persönlichen Wert aufsteigen kann.

 

Mein Fazit

Für jemanden wie mich, der fast sein gesamtes Berufsleben non-linear verbracht hat (in meinem Fall häufig innerhalb einer Brache, der Bildungsbranche, an unterschiedlichen Positionen und in den unterschiedlichsten Projekten mitgearbeitet hat), sind die persönliche Weiterentwicklung wie auch die Chancen, Möglichkeiten und Risiken dahinter, sehr erfolgsentscheidend.

In diesem Buch werden zahlreiche Aspekte rund um Selbstkompetenzen erfrischend kritisch aber unaufgeregt beleuchtet, der allgemein vorherrschende Optimierungswahn dabei fachgerecht zerlegt. Betriebe, gebt den Menschen Ihre Würde auf ein gewisses Mass an Selbstbestimmtheit zurück, ohne sie doch wieder nur zu objektisieren und mit aller Verantwortung alleine zu lassen, höre ich heraus.

Lerchs Werk ist kein Ratgeber, bei weitem nicht, und dennoch auch für Laien sehr empfehlenswert, seien es Arbeitskräfte bzw. auch ArbeitgeberInnen, vorzugsweise kleinerer Betriebe, die sich Hintergrundwissen zum Thema anlesen möchten. Man kann sich mit diesem neuen Werk aus dem Springer-Verlag mit den unterschiedlichsten Theorien zu Kompetenzen beschäftigen und das Thema sehr gut ausleuchten.

 

Waschzettel zum Buch

Selbstkompetenzen. Eine erziehungswissenschaftliche Grundlegung

Sebastian Lerch

2016

Springer-Verlag, Wiesbaden

ebook: ISBN 978-3-658-12975-0; Softcover: ISBN 978-3-658-12974-3

 

Ich danke dem Springer-Verlag für die Zurverfügungstellung des eBooks für diese Rezension. Die hier zum Ausdruck gebrachten Meinungen sind davon unbeeinflusst ausschliesslich und ausdrücklich meine eigenen.
Artikel von Natascha Miljković, 05.11.2016

© aller Texte: Dr. in Natascha Miljković, Agentur Zitier-Weise, 2012-2016.
© Abbildungen: wie angegeben.

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About Dr. Natascha Miljkovic

Inhaberin der Firma Zitier-Weise, Agentur für Plagiatprävention. Naturwissenschafterin mit viel Auslandsforschungserfahrung, Wissenschaftsberaterin und präventive Plagiatsprüferin. Berät Bildungseinrichtungen zum Themenkreis akademische Unredlichkeit und unterrichtet, wie man diese (z. B. Plagiate) nachhaltig vermeiden kann. Auch an allen anderen Themen in, um und durch Forschung und Bildungseinrichtungen interessiert.

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