Contract cheating war bei der diesjährigen internationalen Plagiarismus-Tagung in Brno DAS Buzzword schlechthin. Tatsächlich ist diese Bezeichnung ein Sammelbegriff für eine spezielle Form von Schummeln an Hochschulen, dem Outsourcing von Aufgaben, allerdings schon rund 10 Jahre alt und somit gar nichts mehr Neues. Für mich ist immer wieder erstaunlich zu hören, wie einfallsreich viele beim Schummeln werden … wäre dieser Energieaufwand nicht gleich viel sinnvoller in das Lernen gesteckt?!
Worum geht es bei contract cheating?
Kurz gesagt – einE Studierende umgehen die an sie gestellten schriftlichen Aufgaben, indem sie jemanden beauftragen, der ihre Uniarbeit (von Hausarbeit bis Abschlussarbeit) verfasst (akademisches Ghostwriting).
Die Gründe sind wohl genau so vielfältig wie die Methoden, warum jemand einen Schreiberling für seine Uniarbeiten hinzuziegt. Während die LohnschreiberInnen in früheren Jahren ohne entsprechende Internet-Plattformen wohl Bekannte und Empfehlungen von FreundInnen waren, ist die Sache mittlerweile ein riesiger und sehr heterogener Dienstleistungssektor geworden.
Die Beauftragung kann über „klassische“ sogenannte Ghostwriting-Agenturen, „essay mills“ (Text-Tausch-Seiten) und Auktionsseiten für FreelancerInnen stattfinden. Wie schnell klar wird, stehen dahinter viele Personen, die super verdienen – ein Millionengeschäft mit dem akademischen Betrug lockt! Denn leider zeigen Studien (z. B. 2017 von Curtis & Clare), dass wohl an die 60% der Studierenden in Großbrittanien zumindest einmal bereits solche Dienstleistungen in Anspruch nahmen. Rechnen Sie auch nur einen Minimalbetrag von 10 Pfund pro erfolgtem Auftrag, kann das ganz schnell in die Millionen gehen!
(Abb.”Arms crossed” von “Forest Runner” @Flickr)
Ich lass das mal wen machen …
Wie einfach man zu Texten kommen kann, haben bereits etliche WissenschafterInnen und JournalistInnen getestet. Mit wirklich erschreckenden Ergebnissen, auch was die Dumping-Preise betrifft: Um nur wenige Dollar kann man alles mögliche schreiben lassen, sogar inklusive Erklärungen dazu, um es später „gut“ präsentieren und möglichst glaubhaft als eigenes Werk darstellen zu können, gefakten Laborjournalen, Daten, u.s.w.!
Ein kleines Trostpflaster: meist ist die Qualität der abgelieferten Produkte auch entsprechend schlecht bis grottenschlecht, wenn man dafür nicht viel Geld in die Hand genommen hat. Auch schlimmer Plagiarismus ist weit verbreitet, zum Glück für Hochschulen ist das wenigstens auch leicht zu durchschauen. Offensichtlich wird aber an Hochschulen gar nicht so genau geschaut, denn die meisten betrügenden Studierenden sind laut Versuchen auf den Geschmack gekommen, mit den abgelieferten Werken wohl auch halbwegs zufrieden und werden nicht erwischt. Im Laufe ihres Studiums beauftragen sie durchschnittlich bis zu 5, 6 Mal jemanden für contract cheating. 🙁
Das ist doch ILLEGAL!
Jein! So bitter es für Hochschulen und Hochschullehrende ist – contract cheating und Ghostwriting mag in vielen Universitätsgesetzen stehen, doch das Angebot zu stellen ist nicht ausdrücklich verboten bzw. auf legalem Wege zu verhindern! So kommt man selten gegen die DienstleistungsanbieterInnen an. Das liegt schon einmal daran, dass die AnbieterInnen überall auf der Welt sein können (besonders viele Billigangebote stammen aus Indien), wie auch die Studierenden. Welche Gesetze sollen da angewendet werden – von EmpfängerIn oder SenderIn?! Auf diesem Weg kann man dem Theater also leider (noch) nicht Herr werden!
Clarke und Lancaster schlagen unter anderem vor, nationale Repositorien für Aufgabenstellungen aufzubauen, damit leichter zurückverfolgt werden kann, wer zu betrügen versucht hatte, sollten Hochschulen entsprechende Aufträge in Plattformen finden. Ich sehe das als wenig machbar an, denn zur Kontrolle der tausenden Plattformen müsste so viel (Wo)Manpower bereitgestellt werden. Wer soll das bezahlen können?!
Und, was machen wir gegen den Schlamassel?
Ähnliches gilt für andere Formen von Tests (wieder mehr mündlich zu prüfen) durchzuführen, wie auf der Tagung vorgeschlagen wurde, anstelle der oft mehrmals verwendeten schriftlichen Tests oder Multiple-Choice-Tests. Das wäre natürlich löblich, da ich es deutlich besser für die Lernkapazität finde. Doch auch hier stellt sich die Frage nach der Machbarkeit: es wäre toll jede und jeden Studierenden persönlich „auszuquetschen“, ihre/seine individuelle Entwicklung während des ganzen Semesters fest im Blick, doch werden sich dank des großen Aufwands, den das individuelle Prüfen mit sich brächte, contract cheater in großen Vorlesungen bzw. Lehrgängen weiterhin bestens verstecken können.
Eine wichtige Warnung: Bitte geben Sie nicht weniger Zeit für schriftliche Aufgaben – das nützt nichts! Viele Dienstleistungen können in wenigen Stunden beauftragt und fertiggestellt werden! Wie Phil Newton in seinem großartigen Talk über Ghostwriting und viele andere KollegInnen auf der Tagung erläuterten, nimmt es zugleich den ehrlichen Studierenden auch die Chance etwas durch eigene Leistung gründlich aufarbeiten und verfassen zu können. Womöglich werden sie dadurch erst recht zu unlauteren Methoden getrieben, da es zu schwierig wurde es anders noch zu schaffen. Das ginge nach hinten los!
Bei der Recherche zu diesem Thema habe ich dann doch noch ein paar Tipps gefunden, die für Lehrende einfach umzusetzen sein sollten:
- Recylen Sie Ihre Prüfungsfragen und Textaufgaben NIE! So können sich die Studierenden nicht an Texten von vorangegangenen älteren Studierenden bedienen und im schlimmsten Falle nicht auf eineN bereits bekannteN Text-DienstleisterIn verlassen.
- Geben Sie „mehr“ (im Sinne von diversere Aufgaben) auf! Mal eine Literaturanalyse, mal ein Essay, dann wieder Erläuterungen zu einer Tabelle … Der Fantasie kann hierbei wirklich freien Lauf gelassen werden!
- Individualisieren Sie Aufgaben! Vergleiche zwischen Dingen oder Personen aus komplett unterschiedlichen Branchen oder Argumentationen aus dem Blickwinkel einer ganz bestimmten Zielgruppe oder Person stellen Studierende vor neue (aber keinesfalls unmögliche!) Herausforderungen. Wunderbar eignen sich auch persönliche Analysen („Was hat das Werk/die Theorie von XY mit IHREM Leben zu tun?“). So müssen Studierende automatisch mehr mitdenken und recherchieren, die Aufgabe wird viel spannender zu bearbeiten, und für Sie zu benoten obendrein.
Das alles bedeutet dann zwar immer noch nicht, dass es in Ihrem Unterricht nicht doch zu Ghostwriting und contract cheating kommen kann, doch es ist viel mehr Aufwand für die Studierenden, das Auslagern wird auch teurer und nicht gut gemachte Texte (z. B. mit Amerikanismen oder Übersetzungsfehler, Beispielen, die in Europa vielleicht nicht bekannt sind, o. ä.) fallen Ihnen schneller auf.
Mehr zum Thema!
Einer der Vorreiter dieses Fachgebietes ist wie erwähnt Thomas Lancaster, den ich auch auf der oben genannten Tagung im Mai dazu vortragen hörte. Auf seinen Websites finden Sie viele weitere, nützliche Informationen zu contract cheating, wie Studien, Vortragsmaterial und vieles mehr. Er ist übrigens auch auf Twitter in Sachen contract cheating und akademische Integrität sehr aktiv.
Dieses Thema ist noch lange nicht fertig bearbeitet, noch viel mehr Arbeit und Analysen werden hier hineinfließen müssen, um dieser Industrie halbwegs habhaft zu werden. Ich werde bei neuen Entwicklungen und Erkenntnissen wieder berichten!
Artikel von Natascha Miljković, 28. Juni 2017
© aller Texte: Dr. in Natascha Miljković, Agentur Zitier-Weise, 2012-2017.
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