Schreibdenken, Ulrike Scheuermanns Schreibkonzept, macht Lust auf Texte (Rezension)

Multitasking ist verpönt, und doch kann unser Kopf so vieles gleichzeitig oder nahezu parallel machen: reden und denken zum Beispiel, reden und gehen, schauen und denken, lesen und denken. Oder zumindest glauben wir fest daran dies alles (und viel mehr) gleichzeitig zu können, mal mit mehr, eher öfter mit weniger Erfolg.

Die deutsche Psychologin Ulrike Scheuermann stellt in diesem Band ihr mittlerweile sehr bekanntes  Konzept des „Schreibdenkens“ genauer vor, das sie 2013 in Anlehnung eben dieser Beobachtungen und unter anderem entlang ähnlicher Prinzipien wie das Konzept des „Sprechdenkens“ von Geißner (1997) entwickelt hat.

PatInnen standen auch die jahrzehntelang verfeinerten Schreibdidaktiken amerikanischer Hochschulen, die wohl seit jeher das Schreiben in den Wissenschaften radikal anders sehen, als dies an europäischen Hochschulen üblich ist. Hierzulande stoße ich doch häufig auf die Ansicht – von Lehrenden wie Lernenden gleichermaßen vorgebracht – nur ja bitte so wenig wie möglich schriftlich machen zu müssen.

Als Einstieg wird in einem kurzen Interview mit Swantje Lahm, einer deutschen Schreibdidaktikerin aus Bielefeld, dies als europäisches Verständnis von Schreiben als „einsame und mühevolle Tätigkeit beschrieben“ (S. 34 f.).

(Abb.: Cover des Buches “Schreibdenken”, (c) Verlag Barbara Budrich – UTB)

In insgesamt sechs Kapiteln wird über die Entwicklung und das Konzept des Schreibdenkens ebenso gesprochen, wie über die Phasen der Schreibprozesse und Schreibtypen. Orientieren kann man sich hier entlang der 5 Phasen des kognitiven Schreibmodelles (S. 40 f.): Einstimmen, Ideen entwickeln, Strukturieren, Rohtexten, Reflektieren, Überarbeiten und Veröffentlichen

 

Struktur und Inhalt

In Kapitel 4 und 5 kann man mit dem Methodenkoffer sowie Inputs zu Schreibeinsätzen in unterschiedlichen Lehrsituationen aus dem Vollen schöpfen. Das hat mir besonders gut gefallen, dieser natürliche Zugang zum Schreiben als Werkzeug, um sich über sich und hintergründige, vielleicht sogar gerade verborgene Themen klarer zu werden. Und natürlich der Lehraspekt: keine langwierigen didaktischen Theorien werden konstruiert, sondern schöne handliche Übungen präsentiert, wie sie jede und jeder Lehrende leicht in seinen Unterricht integrieren kann.

Sehr erwähnenswert halte ich hier die Gedanken- bzw. Fokussprints, die ich im Rahmen der Keynote von Frau Scheuermann bei der diesjährigen Schreibtagung der FH WKW Wien, live kennenlernen durfte (S. 77 ff.) und die Übung „Wortfigur“ (S. 73), da ich zur Zeit große und rasche Entspannung für Zwischendurch mit einer ähnlichen Methode, dem Doodling (herumkritzeln), bekomme.

In Kapitel 6 und 7 wird abschießend Schreibdenken als Möglichkeit zum Selbstcoaching dargestellt und ein charmanter Blick in die (Schreib-)Zukunft gewagt.

(Abb.: Ulrike Scheuermann während der Keynote Speech der Schreibtagung der FH WKW im April 2016; (c) FH WKW)

Meine persönliche Schreibbiografie

Schreiben ist für mich schon immer ein wichtiger Prozess gewesen, selbst als es in den 80ern nicht mehr cool war, habe ich Tagebuch (neudeutsch: ein Journal) geschrieben, und tue es unregelmässig immer noch. In der Schule waren mir Fächer wie Englisch und Deutsch mit die liebsten, weil ich da Aufsätze und diverse andere Textsorten schreiben durfte und meist meine Phantasie voll nutzen konnte.

Das Schreiben ging an Hochschulen in MITschreiben über, sehr viel und sehr intensiv. Ab der Verpflichtung Diplom- und Doktorarbeit, zwei zutiefst technische Texte, zu schreiben, konnte ich nicht mehr locker schreiben. Danach habe ich zeitbedingt (eine blöde Ausrede, ich weiß) begonnen möglichst nichts mehr (außer den zahlreichen meist beruflichen E-Mails) zu schreiben. Erst in den letzten Jahren versuche ich diese mir sehr naheliegende persönliche Ressource des Schreibens, unter anderem in kreativen Schreibworkshops, mit meinem Blog auf der Zitier-Weise, einem privaten Kunst- und Kulturblog und neuerdings zur Erstellung eines Buches, zu re-aktivieren und optimaler zu nutzen.

 

Fazit zum Buch

Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, in allen Schul- und Hochschul-Fächern mehr Literaturarbeit zu machen, um den Wert dieser Quellen wieder deutlicher zu machen, und auch mehr/ intensiver schreiben zu lassen, um Studierenden mehr Erfahrungen mit dem Schreiben in den Wissenschaften als Prozess zu ermöglichen. Scheuermanns Buch gibt kompakt zusammengestellt viele nützliche Schreibtipps und Übungsanleitungen dafür! Darüber hinaus werden zahlreiche Anknüpfungspunkte für private Schreibthemen ebenfalls geliefert. Für mich ist dieses Buch ein Must-have für alle DidaktikerInnen, um die Lehre aufzupeppen!

Auch ich würde mir wünschen, dass bald ein oder eine Lehrende so selbstverständlich wie in Scheuermanns Blick in die Zukunft (S. 121 f.) einen Schreibsprint oder eine andere der unzähligen Schreibübungen im Unterricht einsetzt. Mir hätte das enorm gefallen als Studierende und auch heute noch als gelegentliche Seminarteilnehmerin fände ich es schön.

 

Waschzettel

Schreibdenken – Schreiben als Denk- und Lernwerkzeug nutzen und vermitteln

Ulrike Scheuermann

Barbara Budrich-UTB aus der Reihe „kompetent lehren“

2. Auflage, 128 S., 2013

Print Friendly, PDF & Email
Tagged , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , . Bookmark the permalink.

About Dr. Natascha Miljkovic

Inhaberin der Firma Zitier-Weise, Agentur für Plagiatprävention. Naturwissenschafterin mit viel Auslandsforschungserfahrung, Wissenschaftsberaterin und präventive Plagiatsprüferin. Berät Bildungseinrichtungen zum Themenkreis akademische Unredlichkeit und unterrichtet, wie man diese (z. B. Plagiate) nachhaltig vermeiden kann. Auch an allen anderen Themen in, um und durch Forschung und Bildungseinrichtungen interessiert.

Comments are closed.