Schummeln vermeiden – Was lernen wir von James M. Lang?

Wünscht sich das nicht jede/jeder Lehrende: SchülerInnen und Studierende, die aufmerksam zuhören, mitdenken, diskutieren, intelligente Fragen stellen? Oft sieht die Realität ein wenig anders aus: Vor einer Masse aus hunderten gelangweilten, übermüdeten oder schwätzenden Gören stehen müssen, die am Handy oder Tablet alles machen, nur nicht dem Unterricht folgen.

 

Und dann schummeln sie auch noch!

Wie kann man solche Situationen vermeiden oder zumindest etwas sinnvoller für alle Beteiligten angehen?! In meiner Branche wird das “Warum” allerdings oft nicht allzu zweckmässig abgehandelt, meist nur im Sinne von “Warum plagiieren Studis?” Das ist meiner Meinung nach das falsche Fragewort in diesem Zusammenhang bzw. die falsche Reihenfolge an Fragen (Studien dazu, warum Studierende und auch Forschende plagiieren und betrügen gibt es seit Jahrzehnten).

Sinnvoller wäre es nach dem “WAS” zu fragen: “WAS machen wir jetzt daraus?”

 

In der Schule schon lernen wir … zu Schummeln

Das Buch “Cheating lessons” von James M. Lang (2013) beginnt provokant: Studierende betrügen, weil WIR ihnen falsche Anreize und reichlich Möglichkeiten dazu geben! Ja, richtig gelesen! Die Bildungseinrichtungen verleiten zum Schummeln!

Und, ist es nicht wirklich genau so? Tatsache ist, dass viele Schul-bzw. Lernsysteme den Prozess des Lernens nicht reflektieren und schon gar nicht gute Fortschritte (gemessen am persönlichen(!) Level jeder/jedes Einzelnen) abbilden. Gemessen wird viel mehr, was eine/ein Einzelne/r im Vergleich zu den Erwartungen der Lehrenden, im Hinblick auf den Lehrstoff und im Vergleich zu seiner KollegInnen-Gruppe alles kann, weiß oder eben nicht.

Zudem belohnen wir Faktenwissen immer noch überproportional stärker und viel zu häufig! Und das in einer Zeit der ohnehin ständigen Verfügbarkeit von Fakten im Internet und mobil. Das Leben fordert von uns allerdings schon längst ganz andere Kompetenzen wie Problemlösungsorientierung und immer mehr interkulturelle Kompetenzen, die mit Faktenwissen noch nicht einmal ansatzweise bewältigbar sind.

Ein anderes Beispiel ist Effizienz (oft gepaart mit Schnelligkeit): In meiner Schulzeit wurden die Gründlichen, die einen Test eher gegen Ende der Stunde  hin abgaben, als träge Geister angesehen, manchmal sogar von Lehrenden wie SchülerInnen mit einem “neckenden” Schimpfwort wie Schlaftablette, Kofferkind oder Störenfried bedacht, weil man ja “alle aufhält mit dem Getrödel”. Keine guten Erlebnisse, die mich persönlich in noch mehr Furcht vor dem nächsten Test versetzt haben als nötig.

Natürlich wird es in so eingestellten und spektakuär widersprüchlichen Lebensumfeldern immer Menschen geben, die (aus den unterschiedlichsten Gründen) diese Skala so einfach als möglich raufzuklettern versuchen, um möglichst effizient und schnell die Schule bzw. das Studium abzuschließen. Wir haben ihnen ja eingetrichtert, dass schnell zu sein und das Geforderte zu machen, alles ist was zählt. Nachdenken, eigene Meinung ausbilden usw. sind anscheinend “störend”. Wozu sich dann also die Mühe machen, oder?

 

Eine Nicht-Rezension

Ich möchte ausnahmsweise keine Rezension von Langs Buch machen, dazu ist es mir zu sehr im (zwar sehr guten) Plauderton verfasst. Zudem wirkt es auch mich eher auch wie ein Sammelsurium aus unzähligen Beispielen aus der Lehrpraxis diverser Lehrender.

Stattdessen möchte ich Ihnen heute Langs Ansätze zeigen, wie er meint dem Schummeln vorbeugen zu können. In Teil 2 des Buches, “The (nearly) cheating-free classroom”, gibt er diese Punkte an:

  • fostering intrinsic motivation
  • learning from mastery
  • lowering stakes
  • instilling self-efficacy

 

Naja, das sind allerdings ziemlich breit gestreute und sehr allgemeine Punkte – Menschen interessiert machen und Beispiele bringen, macht besseren Unterricht aus! Wer hätte sich das gedacht … Sarkasmus schleicht sich ein.

Ist es nicht so, als würden sich Lehrende nicht ohnehin schon darum bemühen?! Diese Aufzählung war doch reichlich unbefriedigend!

 

Cover: Cheating Lessons in HARDCOVER

(Abb.: Cover des Buches “Cheating lessons” von James M. Lang; (c) Harvard University Press)

 

In Teil 3, “Speaking about cheating”, bringt Lang allerdings dann im Unterkapitel “On original work” einen sehr wichtigen und komplett unterschätzen Aspekt auf (den ich in einem neuen Buchprojekt meinerseits gerade auf der Spur bin): Ist SchülerInnen/ Studierenden klar gemacht worden, warum wir ihre EIGENE Arbeit sehen wollen und nicht etwas Zusammenkopiertes?

Viele fühlen sich nicht kompetent genug “besser” zusammenzufassen, als gelehrte Geister in einem wissenschaftlichen Artikel nach jahrelanger ExpertInnenarbeit schon beschrieben haben. Sie wissen andererseits jedoch ziemlich genau, dass sie etwas zitieren müssen (der große Unterschied wissenschaftlicher Literatur im Vergleich zu allen anderen Textformen), also irgendwo eine Fußnote gesetzt, ein AutorInnenname hingeschrieben, und fertig ist das Werk.

Aber darum geht es uns Lehrenden ja gar nicht, nur – sagen wir das den Studierenden auch? Und wie sagen wir es?

Diese sehen nur hochgestochene Werke, gespickt mit Fakten und Fachbegriffen überall und meinen nun, sie müssten es dem gleichmachen und können es aber nicht ebenso. Ich bin auch der Überzeugung, dass wir zu sehr an den Formalia kleben (siehe die vielen vielen Anleitungen zum Wie des Zitierens der hunderten Zitierstile, aber nur sehr selten findet man zum Warum des Zitierens nähere Informationen!).

 

Mein Fazit

Ich bin noch unentschlossen wie gut umsetzbar die manchmal sehr allgemeinen Ansichten von Lang sind. Insgesamt finde ich es eine nette Lektüre, aber kein herausragendes Sachbuch. Bei manchen RezensentInnen ist es sogar ziemlich negativ angekommen. Dieser hier ärgert sich zum Beispiel darüber, dass Lang “naiv” meint, dass man nicht außer Acht lassen dürfe, dass Studierende heute völlig von Intertextualität (vor allem im Internet) umgeben leben. Das sei eine dumme Ausrede und keine Erklärung, wird weiter geschimpft, es verharmlose das Schummeln ja fast.

Falsch finde ich diesen Hinweis Langs dennoch nicht, das Weiterverwenden von Inhalten ist Realität.

Auch das ist ein Aspekt rund um die Diskussionen um Schummeln, der mir schon häufiger auffällt: Es wird über das “Warum schummeln Menschen?” heftig diskutiert, über Unterschiede zwischen Gründe und Ausreden gestritten, doch gangbare Lösungsansätze für alle Ebenen einer Schule oder Hochschule kommen selten vor. Auch dieses Buch geht darüber kaum hinaus. Schade!

 

Waschzettel zum Buch

Wie dem auch sei, vielleicht finde ich einmal ein noch nützlicheres Werk? Sie werden es dann bestimmt sofort erfahren! In aller Kürze war dies nämlich eines von mehreren Büchern für Lehrende, die ich Ihnen im Laufe des Jahres noch vorstellen möchte.

Wenn Sie mehr dazu erfahren möchten oder es selbst lesen möchten, hier die Bestellinformationen:

Cheating Lessons: Learing from Academic Dishonesty
James M. Lang
Harvard University Press
272 Seiten
ISBN 9780674724631

 

 

Artikel von Natascha Miljković, 12.4.2017

© aller Texte: Dr. in Natascha Miljković, Agentur Zitier-Weise, 2012-2017.
© Abbildungen: wie angegeben.

Den Plagiatpräventions-Blog der Zitier-Weise als E-Mail lesen

Mit einem Feed-Reader abonnieren

follow us in feedly

Creative Commons Lizenzvertrag Der Wissenschaftlichkeits-Blog von Natascha Miljkovic ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. Wenn Sie über diese Lizenz hinausgehend Erlaubnis zur Verwendung meiner Inhalte haben möchten, können Sie diese sehr gerne unter www.plagiatpruefung.at/kontakt anfragen!

Print Friendly, PDF & Email
Tagged , , , , , , , . Bookmark the permalink.

About Dr. Natascha Miljkovic

Inhaberin der Firma Zitier-Weise, Agentur für Plagiatprävention. Naturwissenschafterin mit viel Auslandsforschungserfahrung, Wissenschaftsberaterin und präventive Plagiatsprüferin. Berät Bildungseinrichtungen zum Themenkreis akademische Unredlichkeit und unterrichtet, wie man diese (z. B. Plagiate) nachhaltig vermeiden kann. Auch an allen anderen Themen in, um und durch Forschung und Bildungseinrichtungen interessiert.

Comments are closed.