Studis, lernt lesen! – Ruckzuck mehr Studienkompetenzen erlangen

Wieso „lesen lernen“? So ein Quatsch, werden Sie nun vielleicht denken, das kann doch jedeR, das ist doch Volksschul-Niveau. ICH brauch das jedenfalls nicht!

Nicht so voreilig!

Klar, fast jedeR Erwachsene und die meisten Kinder ab 6 Jahren (und viele auch schon davor) haben lesen gelernt. Doch verstehen wir den Sinn des Lesen immer und kennen seinen Nutzen eigentlich?! Wie Naga Raju* sagt, ist Lesen häufig passiv und wenn es gerade nützliche Informationen liefert. Ben Johnson* meint dazu in einem Online-Artikel (der * verweist auf die untenstehenden Quellen), dass Lesen mit Denken gleich zu setzen sein muss und daher das eine ohne das andere nicht sein kann (für mich eine ideale Vorstufe zu Ulrike Scheuermanns „Schreibdenken“, siehe meine Rezension zum Buch finden Sie hier).

Etwas SO Essentielles wie das Lesen verdient also durchaus einen eigenen Beitrag. Es soll heute um die Lesekompetenzen von Studierenden gehen und wie Sie diese – als Studierende selbst bzw. als Lehrende – stärken können. Und dass es große Unterschiede beim Lesen gibt, wird einem meist dann bewusst, wenn man einen anspruchsvollen fremdsprachigen Text oder eben einen wissenschaftlichen Text zur Hand nimmt: die meisten stolpern dann plötzlich durch die Sätze, als wäre man wieder einE LeseanfängerIn!

reading

(Foto “reading” von “Rosmarie Voegtli @ Flickr)

Ja, auch beim Lesen können wir alle noch so einiges dazulernen und uns auch als Erwachsene weiter darin üben! Eine umfassende oder zumindest ausgeprägtere Kompetenz in etwas aufzubauen bedarf allerdings einiger Systematik und Regelmäßigkeit, denn das durchaus mächtige Wort Kompetenz umfasst so viel mehr als etwas zu kennen (Faktenwissen) und bloß zu beherrschen (efficiency).

Meine 5 Tipps für besseres (wissenschaftliches) Lesen

a) Leseschwächen und -Chancen aufdecken: irgendwo muss man beginnen, darum kann man sich einmal in einer Art „SWOT“-Analyse über das eigene Leseverhalten klarer werden:

  • Wann lese ich (wissenschaftliche) Texte?
  • Geht das Lesen flüssig vonstatten oder vertue ich mich häufig in der Zeile?
  • Wie lese ich (einmal gründlich durch oder überfliegen und mehrmals ansetzen etc.)?
  • Wie schnell lese ich (messbar z. B. in Zeilen bzw. Seiten pro Minute)?
  • Wie rasch begreife ich den Inhalt (nach wenigen Seiten, schön langsam, erst nach Ende, später)?
  • Wie viel vom Text bleibt mir circa wie lange im Gedächtnis? (Rufe Dir dazu einfach die 5 zuletzt gelesenen Bücher egal welchen Inhalts ins Gedächtnis und fasse in jeweils 2 Sätzen zusammen, um was es darin ging. Nicht so ganz einfach, oder?!)

b) „Extensive Reading“: Lesen muss man einfach – machen! Unterstützen kann man das (und den inneren Schweinehund besiegen), in dem man Buchclubs, Lesezirkel oder Literaturgesellschaften beitritt und einfach loslegt. So hat man sogar bei/ nach dem Lesen Gesellschaft und übt in angenehmer Atmosphäre Zusammenfassung, Interpretation und Ausdrucksweise.

Das Ganze kann man natürlich auch für anspruchsvollere Texte oder wissenschaftliche Inhalte anwenden: schauen Sie doch mal nach, welche öffentlichen Vorträge, Tagungen oder Kongresse Ihr Institut veranstaltet. Oft haben die geladenen Vortragenden schon viel geschrieben, vielleicht sind da auch ein paar „populäre“ Sachbücher dabei? Diese sind ein guter und rascher Einstieg in ein vielleicht ansonsten schwieriges Gebiet. Suchen Sie sich die zwei für Sie interessantesten Kapitel heraus, gönnen Sie sich eine halbe Stunde Zeit und schmöckern Sie bewusst darin.

Ein zusätzliches Plus können Sie dann verbuchen, wenn Sie sich zwei, drei Fragen zum Buch merken und während der Diskussionsrunde nach dem Vortrag an die Vortragenden herantreten können bzw. beim „geselligen Zusammensein“ danach (da haben Sie’s, habe ich Ihnen gleich noch wertvolle Networking-Tipps obendrauf verpasst!).

Als Lehrende kann man dieses soziale Lesen befeuern und sehr gut nutzen, indem man im angloamerikanischen Raum sehr beliebten und daher auch weit verbreiteten „brown bag/ lunch discussion groups“ veranstaltet (ja, gut, nicht mit 300 Studierenden, aber für kleinere bis mittelgroße Gruppen machbar). Hier können ganz ohne großen Aufwand (jede/r nimmt sich sein Mittagessen mit, dann setzt man sich immer zur selben Zeit für 1 Stunde, z. B. am FR mittags, zusammen) und ganz informell eine z. T. große Zahl an höchstwissenschaftlichen Werken diskutiert und so gemeinsam behirnt werden. Zusätzlich stärkt es natürlich den Rapport mit den Studierenden, was nicht zu unterschätzen ist, es ist gemütlich und dennoch sehr produktiv. Ich habe diese Treffen bei meinen USA-Aufenthalt immer sehr genossen und so viel gelernt dabei!

c) „A Bookworm’s Diary“ oder „Reading Logbook“: ein Tagebuch anlegen also, allerdings ein ganz besonderes, ein Lese-Tagebuch. Darin halten Sie fest welche Leseziele Sie haben, was Sie verbessern möchten (also ideal nach Tipp a) zu machen) und bis wann. Außerdem wichtig ist sich hier zu notieren, wann Sie lesen.

Machen Sie diese Übung auf Papier (manche pfiffige Notizbuch-HerstellerInnen haben wunderschöne mit Vordrucken gestaltet, eine Anschaffung davon ist natürlich nicht nötig, es kann aber Freude machen so etwas zu gestalten oder anzuschaffen), online oder gar in Form eines persönlichen Lese-Blogs. Für Fiction ist vielleicht auch ein Online-Lesekreis interessant, wo man eine virtuelle Bibliothek anlegen kann. Das ist mit im Team teilbaren Literaturmanagerprogrammen natürlich ebenso für wissenschaftliche Publikationen möglich.

d) Ausdrucksweise verbessern: die meisten haben sich im Laufe der Jahre einen gewissen Wortschatz erlesen bzw. erplappert, jedeR hat Lieblingswörter und – Phrasen und dabei bleibt man dann meist auch. Gut, ein wenig anderes Vokabular hat man ja ohnehin im Beruf/ in den Wissenschaften zu verwenden. Und nun das ganze noch in Englisch palavern können. Das muss reichen! Und tut es meist auch! In diesem Fall ist mehr und flexibler allerdings besser!

Menschen, die aufmerksam lesen, haben auch ein nachgewiesenermassen viel besseres Sprachgefühl und eine bessere Ausdrucksweise, kommen so bei KollegInnen und FreundInnen auch sympathischer weil vermeintilch oder real verständiger und verständlicher an.

Üben kann man das indem man nachdem man einen Text egal welcher Art gelesen hat, einen fiktiven Brief an einE FreundIn schreibt und vom Inhalt des Werkes berichtet. Oder man hält sich die wichtigsten/ inspirierendsten Sätze fest (auch das kann einen Mehrfachnutzen haben, wenn Sie bei einer Präsentation oder in einem Smalltalk mit cleveren Inhalten von sich reden machen können).

Gezielte Wortanalysen können ebenso sehr nützlich sein:

  • Welche Worte/ Fremdworte in diesem Text kennen Sie noch nicht?
  • Welche Worte kennen Sie nur passiv, sind sich aber ihrer Bedeutung nicht ganz im klaren? Legen Sie sich ein persönliches Glossar an (z. B. in einem Heft, in Word oder MS OneNote, ich persönlich verwende „Evernote“, doch es gibt viele andere ähnliche Online-Notizbücher) und sammeln Sie diese Begriffe. Langsam werden sie in Ihren Wortschatz übergehen!
  • Woher stammen diese Fremdworte?
  • Was bedeutet das auf Englisch/ in einer Sprache, die Sie gerade lernen?

Für Studierende und ihr späteres eigenes Schreiben sind besonders folgende Übungen brauchbar:

  • Welche Worte und Phrasen werden im Text für Widerspruch, Zustimmung, Vergleiche und Beschreibungen verwendet? Führen Sie diese Übung gemischt, nur mit Adjektiven/Adverben, Verben oder Nomen durch.
  • Wer noch mehr üben möchte sucht sich zu all den gefundenen Begriffen weitere Synonyme (und verwendet jedes Wort sofort 5x/ Tag in Konversationen).

e) Textsorten-Kompetenz: lesen Sie zu einem Thema sehr bewusst in verschiedenen Quellen. Zum Beispiel zu Klimawandel in Tageszeitungen, in Wochen- oder Monatszeitschriften, in Blogs von WissenschafterInnen, die in diesem Bereich arbeiten, populärwissenschaftliche Bücher dazu, wissenschaftliche Artikel. Sie werden natürlich wissen, dass die Art der Informationsweitergabe in allen diesen Textsorten anders ist:

  • Doch, mit welchen sprachlichen Mitteln wird sie denn konkret gestaltet?
  • Und, ist der wissenschaftliche Artikel wirklich vollständig?
  • Stimmen die angegebenen Daten in den Zeitschriften?
  • Woher stammen die Aussagen in den zeitungen eigentlich genau?

Wie Sie sehen habe ich keine Tipps zu schnell lesen („speed reading“) zusammengestellt. Ich persönlich bin vom Nutzen der z. T. extremen Ausprägungen (bepielsweise „photo reading“) nicht überzeugt: Texte rasch überfliegen muss natürlich immer mal sein, aber mir entgeht der konkrete Nutzen von Schnelllese-Techniken komplett. Was soll gut daran sein, wenn man nach wochenlangem Training Texte dann schnell lesen kann, aber dabei nichts mehr mitbekommen oder behalten kann?!

Wer mag, sollte es unbedingt einmal ausprobieren (ich habe da eher leicht reden, weil ich generell eine hohe Geschwindigkeit erreiche). Lesen muss auch Spaß machen und ein Genuß werden/ sein/ bleiben. Wenn Ihnen diese Technik hilft, ist sie eben für Sie sinnvoll. Keine Einschränkungen, was hilft, hilft!

Quellen und weiterführende Literaturhinweise (*)

Channuan Paweena & Punchalee Wasanasomsithi (o.J.) „Promoting Learner Autonomy through an Extensive Reading Program among Second Year Undergraduate Students of Naresuan University“ (online Artikel: http://www.culi.chula.ac.th/Research/e-Journal/2012/Promoting%20LA%20through%20an%20ER_%20EDITED_13_Nov_13.pdf)

Franck Norbert (2011) „Fit fürs Studium. Erfolgreich reden, lesen, schreiben“, München: DTV.

Johnson Ben (2012) „College Readiness: Reading Critically“, edutopia, George Lucas Educational Foundation (http://www.edutopia.org/blog/college-readiness-critical-reading-ben-johnson)

Klemm Michael & Monika Hähnel (o.J.) „Fragen zum wissenschaftlichen Lesen“ (ab S. 18ff.), in: „Materialien zum wissenschaftlichen Schreiben/ Arbeiten“, Schreibzentrum des Fachgebiets Germanistik an der TU Chemnitz (online unter: https://michaelklemm.files.wordpress.com/2011/02/material-schreibzentrum.pdf)

Lombardi Esther (o. J.) „How to keep a reading log or book journal“, about education (http://classiclit.about.com/od/forstudents/ht/aa_readinglog.htm)

Raju M. Naga (2011)„Teaching Reading to College Students“ (Präsentation online: http://de.slideshare.net/lionnagaraju/teaching-reading-to-college-students)

o. A. (o. J.) „Developing your reading skills“ University of Leicester (https://www2.le.ac.uk/offices/ld/resources/study/reading)

Plachta Bodo (2006) „Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte“, 2. ergänzte und aktualisierte Aufl., Stuttgar: Reclams Universal-Bibliothek; Bd. 17603.

Turecek Katharina & Birgit Peterson (2009), Kleines Handbuch Studium: effizient und erfolgreich lernen, schreiben und präsentieren, Wien: Krenn.

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About Dr. Natascha Miljkovic

Inhaberin der Firma Zitier-Weise, Agentur für Plagiatprävention. Naturwissenschafterin mit viel Auslandsforschungserfahrung, Wissenschaftsberaterin und präventive Plagiatsprüferin. Berät Bildungseinrichtungen zum Themenkreis akademische Unredlichkeit und unterrichtet, wie man diese (z. B. Plagiate) nachhaltig vermeiden kann. Auch an allen anderen Themen in, um und durch Forschung und Bildungseinrichtungen interessiert.

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