Systemfehler – Warum fällt ein Plagiat jahrelang niemandem auf?

Jemand arbeitet jahrelang an ihrer/seiner Dissertation. Neben vielen KollegInnen. Jemand publiziert wissenschaftliche Artikel und Fachbücher. Die KollegInnen lesen und besprechen diese. Jemand berichtet bei Konferenzen über ihre/seine Arbeit. Doch den KollegInnen fällt nicht auf, dass alles nur Betrug ist. Wie kann das denn sein? Unter so vielen klugen Leuten? Sieben kritische Gedanken zu Systemfehlern im Hochschulwesen.

(Abb. Systemfehler behindern oder – Wo geht es hier zu mehr akademischer Redlichkeit?;
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Systemfehler 1 – „Wer“ sein wollen

Gerade in unseren „westlichen“ Ländern wird Individualität hoch angesehen: Jede/r fühlt sich berufen, praktisch alle sind wir heute Genies, denn – Hand auf’s Herz – Durchschnitt sein ist fad. Das kann ja jede/r, wo käme man denn da hin? Gut ist nur, wer aus der Masse herausstechen kann! „Stärken stärken“ ist unser Zauberwort, denn Fehler haben andere, man macht lieber „Power Posing“. Bei so vielen Besonderen ist die Konkurrenz allerdings echt stark und damit wohl auch der Wunsch noch mehr herauszuragen.

Systemfehler 2 – Mehr Schein als Sein

Wir mögen Großartige, ganz klar. Und wieso denn auch nicht! Sieht man sich Wertungen und Bewertungen, Rankings und dergleichen mehr an, meint man jedoch, viele verstecken sich nur all zu oft hinter Zahlen. Auch das großzügige Herumschleudern mit Unmengen an Fachbegriffen könnte ein Hinweis sein, dass mangelnde Substanz damit versteckt werden soll. Die „Schleudern“ dann auch mal darauf anzusprechen und sie für ihren Schmafu aufzublättern, wird nicht so gerne praktiziert – die verwendeten Fachbegriffe hat man vielleicht selbst nicht mehr so parat, könnten die am Ende doch Recht haben und die Kritik ginge dann womöglich nach hinten los. Lieber still sein und heimlich bewundern.

Systemfehler 3 – Streng sein ist out, weichspülen in

Was kam wohl zuerst: Fehlende Konfliktfreude und mangelhafte Diskussionskultur oder die meist semesterweise wiederkehrende Angst vor negativen Feedbacks, Reviews und Evaluierungen? Allzu schnell gleiten Menschen in eine völlig fehlgeleitete „Hilfst Du mir, helf ich Dir“-Mentalität ab. Manche Lehrende trauen sich in „Evaluier-Semestern“ kaum noch Hausaufgaben zu geben, das könnte Punkteabzüge beim Evaluieren bringen. Klar bleibt da der Lernfortschritt auch auf der Strecke.

Systemfehler 4 – Titelgeilheit

Am besten lässt sich Systemfehler 1 in Deutschland und Österreich frönen, wenn man einen tollen Titel vor, nach und über dem Namen sein Eigen nennen kann. Ansehen kommt vor echtem Können? Ich bitt’ Sie, wir sind ja nicht in den USA (/Snobismus Ende)! Und wenn man es nicht selbst schafft oder so ein süßes Titelchen zukaufen kann, schadet ein Ruch von Elitär um sich herum zu scharren meist auch nicht. Nepotismus – oder zu gut österreichisch die „Freunderlwirtschaft“ – schafft gleich auch noch ein „Wir gegen alle anderen“-Zusammengehörigkeitsgefühl inklusive langwährendem Machtaufbau und -erhalt.

Systemfehler 5 – Falsche Fehlerkultur

Statt auf den Prozess zu setzen und daran zu lernen, konzentrieren wir uns massiv auf das bloße Fakten abgefragt und einzelne Zahlenwerte. Erfolg ist nicht die Erkenntnisse auf dem Weg zur Note, abgefeiert wird das wie auch immer festgestellte Ende. Beim wissenschaftlichen Schreiben ist dies am ehesten zu sehen (siehe Systemfehler 6). Zudem betreuen und bewerten viele Betreuende Haus- oder Abschlussarbeiten nicht mehr selbst, da schon zu viele (administratorische) Anforderungen an sie gestellt werden, unter anderem, weil auch immer mehr Daten zu erheben sind (siehe Systemfehler 2).

Systemfehler 6 – Irrglaube über Plagiatsprävention

Die Software wird’s schon finden.“ Viele Lehrende verlassen sich beim Betreuen des Schreibprozesses ihrer Studierenden auf sehr leicht beeinflussbare Hausnummern von Programmen. Feedback zu wissenschaftlicher Literaturarbeit und zum Schreiben ist schon im Vorfeld wenig bis nicht vorhanden. Die Plagiatsprüf-Software, die eigentlich eben genau diesen Schreibprozess(!) mit Visualisierungen unterstützen sollte, wird nun am Ende der Studien zur Bestrafung eingesetzt. Bloß gut, wo es eigene Schreibzentren gibt, da kann man sich als Studierende wenigstens erkundigen. Hochschulen muss auch angekreidet werden, dass nur eine Software zu haben zwar ok ist, aber bei weitem noch nicht alles, was an Plagiatsprävention dringend zu machen ist. Bösere Zungen als meine würde nun behaupten, es ist noch gar kein Präventionstool so ein Teil anzuschaffen.

Systemfehler 7Akademische Redlichkeit nur zusammen möglich

Man kann es gar nicht oft genug wiederholen: Ja, jede und jeder Einzelne ist verantwortlich, dass es mit der akademischen Redlichkeit klappt! Dafür muss man erst einmal bei sich beginnen und selbst so gut als möglich arbeiten. Da ist es auch ein wenig irrelevant, was die jeweilige Hochschule so alles bereitstellt (oder auch nicht, siehe Systemfehler 6). Zur akademischen Redlichkeit gehört eben auch, dass man sich meldet, wenn man komische Praktiken vermutet und versucht eine gute Fehler- und Feedback-Kultur zu etablieren. Tatsächlich hat es weitreichende negative Vorbildfunktion, wenn eine/r nichts über einen Verdacht sagt oder Fehler vertuscht/vertuschen hilft, dann trauen sich andere auch nicht und meinen sich eventuell getäuscht zu haben. Es entsteht eine kollektive „Schuld“ an Skandalen.

Was lehrt uns das?

Manche Meldungen ist man schon ziemlich leid! Allen, die bei Skandalen und Skandälchen mit Plagiaten behaupten, das hätten sie eh immer schon gewusst/ vermutet/ gesagt, dass eine/r nicht ganz koscher sei, sei gesagt: Na gratuliere auch, haben Sie sich dann ja auch tüchtig mitschuldig gemacht!

Allen, die nix gesehen haben wollen, sei gesagt, auch toll, auch mitschuldig gemacht, schließlich ist es die vorderste Pflicht aller WissenschafterInnen kritisch zu sein und in einen wissenschaftlichen Diskurs zu treten und zu hinterfragen. Job verfehlt?

Allen, die Plagiate NUR an „bösen“ oder wahlweise dummen Studierenden festmachen versuchen, sei gesagt, dass sie offensichtlich keinen Schimmer von Hochschulen haben (ja, schwarze Schafe gibt es immer wieder, die Unbelehrbaren, die sich nichts sagen lassen wollen und sogar gegen die Betreuenden agieren … so viele sind es dann aber auch wieder nicht), denn hier arbeitet niemand alleine, also geht es wohl um den Fehler aller.

Systemfehler gibt es in den besten Häusern, das wird sich nicht sofort ändern. Wo man ansetzen kann, um Plagiate und andere Unredlichkeiten zu bekämpfen, ist die Reflexion der eigenen Abläufe und Denkmuster zu verstärken. Schauen Sie sich an, wo SIE selbst eventuell einem der Systemfehler aufsitzen und befreien Sie sich in Ihrem Rahmen davon. Wenn jede/r nur ein wenig verbessert, als noch so kleines Rädchen im System, können Systemfehler ausgebessert werden!

Das kann schon etwas dauern, ein System ist schließlich nicht von heute auf morgen so geworden. Für die Plagiatsprävention bedeutet dass, von heute auf morgen ist nicht alles supertoll und shiny. Aber es kann sich verbessern und es WIRD besser, auch jetzt schon, rund 8 Jahre nach dem zu Guttenberg-Skandal hat sich an Hochschulen einiges zum Guten geändert. Tut jede/r ein bisschen was, klappt es insgesamt! Akademische Redlichkeit kann nur gemeinsam funktionieren und – einmal etabliert – nützt sie dann auch allen!

Sie sind anderer Meinung, haben von anderen/mehr Systemfehler zu berichten? Erzählen Sie mir bitte davon: office [@] plagiatpruefung [.] at (so kultiviere ich übrigens unter anderem meine persönliche Kritikfähigkeit weiter)!

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Einige Artikel, die ich zu diesen oder ähnliche Themen bereits verfasst habe:

Angst vor Plagiaten und Plagiatsprüfung

IKEA-System für Plagiatsprüfungen?

PolitikerInnen und Plagiate

 

 

Artikel von Natascha Miljković, 18.04.2018

© aller Texte: Dr. in Natascha Miljković, Agentur Zitier-Weise, 2012-2018.
© Abbildungen: wie angegeben.

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About Dr. Natascha Miljkovic

Inhaberin der Firma Zitier-Weise, Agentur für Plagiatprävention. Naturwissenschafterin mit viel Auslandsforschungserfahrung, Wissenschaftsberaterin und präventive Plagiatsprüferin. Berät Bildungseinrichtungen zum Themenkreis akademische Unredlichkeit und unterrichtet, wie man diese (z. B. Plagiate) nachhaltig vermeiden kann. Auch an allen anderen Themen in, um und durch Forschung und Bildungseinrichtungen interessiert.

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